Die soziale Dimension der EU stärken

Adressat: SPD Landesparteitag, SPD-Bundesvorstand, S&D-Fraktion im Europaparlament

Beschluss:

  1. Im Zuge des europäischen Semesters streben wir gegenüber der aktuellen Schwerpunktsetzung auf die finanz- und wirtschaftspolitische Koordination eine Wiederaufwertung der EU Beschäftigungsstrategie und der „Offenen Methode der Koordination“ an. Die Empfehlungen zu den jeweiligen nationalen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiken dürfen nicht länger nur als Mittel zur Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und einer Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit dienen, sondern müssen auch dem Schutz der Beschäftigten und Investitionen in Aus- und Fortbildung Rechnung tragen. Bei den Konsultationen in der „Offenen Methode der Koordination“ muss dabei den Sozialpartnern wieder eine prominentere Rolle eingeräumt werden.
  2. Insbesondere die Ziele zur Bekämpfung von sozialer Exklusion, Armut und Arbeitslosigkeit in der Europa 2020-Strategie gilt es in diesem Zuge wieder ins Zentrum zu rücken. Dazu ist es unumgänglich, neben den flexiblen, dreigeteilten Zielsummen endlich entsprechend konkrete und überprüfbare Zahlen für die jeweiligen Mitgliedsstaaten festzulegen.
  3. Ebenso sind im Hinblick auf die supranationalen Rechtsetzung Kompetenzen zur Regelung insbesondere des individuellen Arbeitsrechtes stärker zu nutzen (Art 153 EUV). Wir Sozialdemokraten sollten uns dabei für europäische Mindeststandarts bei der Regulierung von Befristung und Leiharbeit einsetzen (via Art. 153 EUV, Paragraph 1 b+c und 2b).
  4. Grundsätzlich möchten wir für ein europaweites Paradigma einer aktivierenden und investiven Arbeits- und Sozialpolitik eintreten. Der Investitionsplan der neuen Juncker-Kommission muss dem über die den jetzigen Fokus auf die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Infrastrukturausgaben hinaus Rechnung tragen. Die Kürzungen von staatlichen Ausgaben in vielen Mitgliedsländern der EU und eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte nach angelsächsischem Vorbild tragen nicht zu einem Ende des schwachen Wirtschaftswachstums in der EU bei, sondern bewirken vielmehr eine negative Umverteilung zu Lasten sozial schwacher Gruppen. Bei der Vergabe von Mitteln aus dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) gilt es daher verstärkt Investitionsvorhaben in Bildungseinrichtungen und in ein verbessertes Angebot zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu berücksichtigen.

Begründung:

Eine gemeinsame Währungsunion schaffen, aber soziale Sicherheit weiterhin über einen starken nationalen Sozialstaat garantieren –diese feine Trennung ist spätestens mit der Eurokrise offensichtlich nicht mehr aufrecht zu erhalten. Anstelle aber einer per se globalisierungsfeindlichen Abwehrhaltung gegenüber der europäischen Integration einzunehmen, sollten wir Sozialdemokraten vielmehr für ein sozialeres Europa eintreten. Jenseits einer entsprechenden Vertragsänderung gilt es daher zunächst die bestehenden Möglichkeiten für eine Stärkung der sozialen Dimension der EU zu nutzen. Der Vertrag von Lissabon, die offene Methode der Koordination, die Europa 2020 Strategie und die Investmentvorhaben der neuen Kommission bieten genug Gelegenheiten im Sinne der oben genannten Punkte für dieses Ziel zu streiten. Dazu ist es aber unbedingt notwendig, dass wir als Landes- und Bundespartei Europa nicht als fremde Außenpolitik oder technokratische Regulierung, sondern als festen Bestandteil unserer „nationalen“ Politik begreifen. Denn künftig wird sich unser Sozialstaat und die von uns vertretenen Werte nicht ausschließlich national, sondern nur über eine starke europäische Sozialdemokratie verteidigen lassen. Es muss uns zu denken geben, dass viele BürgerInnen unsere SPD in der Bundesregierung gerne als kleinen Koalitionspartner für die soziale Korrekturen sehen, aber im Hinblick auf die zentralen Fragen der Europapolitik den Konservativen vertrauen. Dieser Antrag soll einen Beitrag zur überfälligen Debatte leisten, wie eine demgegenüber klar erkennbare Alternative eines sozialen Europas aussehen kann. Unseren Kampf für soziale Gerechtigkeit müssen wir wieder umfassend verstehen und nicht auf nationale sozialpolitische Korrekturen reduziert begreifen.